Für die vereinte Opposition!

Der Machtblock der Kartellparteien zwingt Linke und Rechte zur Kooperation – und macht ein solches Zusammengehen gleichzeitig möglich. Dabei gibt es jedoch ein Hauptproblem.

Die BRD ist eine Art Modellstaat, wenn auch nur in dem negativen Sinne, dass sie anderen Staaten der westlichen Welt idealtypisch vormacht, wie eine politische Klasse ein blühendes Gemeinwesen zugrunde richten kann, ohne in Wahlen dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Möglich ist dies wegen der Kartellbildung innerhalb der politischen Klasse, zwischen dieser Klasse und anderen Funktionseliten und insbesondere wegen ihres kollusiven Zusammenwirkens mit einer winzigen global agierenden Kaste von Kapitaleignern und deren Handlangern. Instanzen, die miteinander konkurrieren oder einander kontrollieren sollten, haben sich zu einer Machtstruktur verflochten. Durch diese kartellartige Verflechtung sind der politische Wettbewerb und demokratische Korrekturmechanismen ausgehebelt worden.

Weder links noch rechts

Dieses Kartell ist selbst weder rechts noch links, auch wenn es Linken rechts, Rechten links und Libertären wahlweise sozialistisch oder faschistisch erscheint. Dieser Eindruck entsteht dadurch, dass das Kartell tatsächlich alle relevanten Ideologien in sich enthält, nur leider in Gestalt korrupter, verdorbener und destruktiver Verballhornungen der jeweiligen Ausgangsidee mitsamt dem dazu passenden Personal. Für die Opposition ist es nicht sinnvoll, dieses Kartell noch in den vertrauten Links-Rechts-Kategorien einzuordnen: 

■ Zwar blockiert und zerstört es emanzipatorische Entwicklungsmöglichkeiten und ist in diesem Sinne aus linker Sicht rechts; zwar zerstört es bewährte und lebenswichtige Strukturen unter Berufung auf utopistische Heilslehren und ist in diesem Sinne aus rechter Sicht links; linke und rechte Oppositionelle aber, die das Kartell – wenn auch in polemischer Absicht – als «rechts» oder «links» bezeichnen, tun ihm zu viel Ehre an, wenn sie durch solche Wortwahl die jeweils entgegengesetzte oppositionelle Fraktion mit dem (von dieser doch ebenfalls bekämpften) Kartell in einen Topf werfen. 

■ Die Ausgrenzung der linken wie der rechten Opposition hat durchaus ihre positiven Aspekte. Sie befreit nämlich linke, rechte und libertäre Oppositionelle von der kompromittierenden Bindung an ihre bloß noch nominellen jeweiligen Gesinnungsfreunde im Establishment. Zumindest eröffnet sie die Chance einer solchen Befreiung. Es liegt an den Oppositionellen selbst, diese Chance zu ergreifen – oder zu vertun.

■ Während Rechte und Libertäre im Allgemeinen weder im Verhältnis zueinander noch zur oppositionellen Linken große Berührungsängste haben, ist diese Linke immer noch Gefangene eines «antifaschistischen» Diskurses, den sie teils nicht als Herrschaftsdiskurs durchschaut, teils sehr wohl durchschaut, ohne aus dieser Erkenntnis aber Konsequenzen zu ziehen. 

Die Pluralität der Demokratie 

Wenn die bisherige politische Klasse entmachtet und ein runderneuertes demokratisches (und das heißt mindestens: pluralistisches) Gemeinwesen errichtet werden soll, dann muss die Opposition, die ein solches Werk in Angriff nimmt, in sich das gesamte politisch-ideologische Spektrum enthalten: links, libertär und rechts. Ist dies nicht der Fall, bleibt also die Last der Neugestaltung des Gemeinwesens bei einer einzigen politischen Richtung (egal ob rechts oder links) hängen, weil alle anderen mehr oder weniger mit dem Kartell verbandelt und kompromittiert sind, dann ist schwer vorstellbar, wie der Umgestaltungsprozess in einer pluralistischen Demokratie münden soll. 

Um es unmissverständlich zu sagen: Es gibt nur noch eine einzige, winzige Chance, den endgültigen Untergang der Demokratie in Deutschland zu verhindern, und das ist die Zusammenarbeit der linken und der rechten Opposition: nicht, weil die oppositionellen Kräfte sich untereinander ideologisch einig wären, sondern weil sie es genau nicht sind (und gerade deshalb gemeinsam die Breite des politischen Spektrums repräsentieren). Einig dürften sie sich aber in dem Wunsch sein, wieder in einem Land zu leben, in dem politische Konflikte mit Argumenten ausgetragen werden, nicht mit diversen Spielarten der Ausgrenzung und Einschüchterung bis hin zum Terror; in einem Land, das sich nicht als Handlanger einer imperialistischen Großmacht missbrauchen lässt und deshalb zum Frieden in Europa beitragen kann; in dem die Prinzipien des Rechtsstaates wieder gelten; in einem Land, das unter anderem deswegen fähig ist, seine Probleme in Angriff zu nehmen und sich eine Zukunft aufzubauen! 

Die Suche nach einer solchen Einheit in der Opposition ist also nicht parallel zu setzen mit der «Einheit der Arbeiterklasse» (also zwischen SPD und KPD), die – einer populären linken Legende zufolge – Hitler gestoppt hätte, wäre sie denn rechtzeitig zustande gekommen. Diese Legende ist eine jener Nebelkerzen, mit denen Kommunisten gerne Sozialdemokraten verwirren. Selbst wenn Hitler durch eine Einheitsfront-Strategie hätte gestoppt werden können – was man auch mit guten Gründen bezweifeln kann –, wäre dadurch nicht die Demokratie gerettet, sondern der Stalinismus auf Deutschland ausgedehnt worden, wie es nach dem Krieg in Gestalt der DDR ja tatsächlich geschah. 

Überhaupt ist die «Einheit der Linken» eine sentimentale Phrase. Die oppositionelle, antiglobalistische Linke verbindet mit ihren regierungsfrommen und ideologisch verblendeten Scheinzwillingen nichts, nicht einmal mehr eine gewisse politische Familienähnlichkeit. Spätestens die imperialistischen und bellizistischen Positionen der Letzteren im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg sollten allen diesbezüglichen Illusionen den Garaus gemacht haben. 

Die Notwendigkeit des Burgfriedens 

Die Zusammenarbeit der links- und rechtsoppositionellen Kräfte – die Querfront – wäre sinnlos, wenn sie eine bloße Schein-Einheit wäre, bei der die eine Fraktion die andere über den Tisch zieht und zum Wasserträger macht, wie es die Kommunisten in der DDR mit den Sozialdemokraten gemacht haben. Vielmehr ist die Pluralität der Kräfte, die zusammenwirken sollen, Sinn und unerlässlicher Bestandteil des ganzen Konzepts! 

Insofern fehlt es mir an Verständnis für eine oppositionelle Linke, die zwar ihren (Ex-)Genossen vom Mainstream täglich völlig zu Recht vorrechnet, dass sie Dummköpfe und Verräter sind, zugleich aber gegenüber der rechten Opposition unbelehrbar in tradierten Vorurteilen verharrt oder wenigstens so tut, als täte sie es, um just bei besagten Mainstreamlinken nicht selbst als «rechts» zu gelten. Diese Haltung erinnert ein wenig an die des «bürgerlichen» AfD-Flügels, also die eines anderen Esels, der einem ihm vorgehaltenen Heuballen hinterherläuft. Die in der Sache unbegründete ängstliche Distanzierungshaltung verschafft der oppositionellen Linken bestenfalls geringfügig (wenn überhaupt) mehr öffentlichen Einfluss – dies aber um den Preis, dass sie die entscheidenden Fronten des Kampfes nicht aufrichtig benennt, sondern sie weiterhin in ein anachronistisches Links-Rechts-Schema zu pressen versucht. 

Nochmal: Der Anachronismus besteht nicht darin, dass es einen Unterschied zwischen links und rechts nicht gäbe, sondern dass er im Vergleich zu der Frontstellung zwischen Kartell und Opposition sekundär ist! 

Demokratie beruht nicht nur auf Tradition und Gewohnheit, sondern notwendigerweise auf einem Burgfrieden zwischen Links und Rechts, bei dem zwar um die Hausordnung der Burg gestritten wird, aber Einigkeit darüber besteht, dass die Burg als solche stehenbleiben soll. Dies bedeutet, dass die Rechte (und sei es zähneknirschend) bereit ist, um der Existenz der Burg willen notfalls auch eine linke Hausordnung in Kauf zu nehmen – und dass die Linke bereit ist, die Burg zu verteidigen, um sich die Chance auf eine solche Hausordnung zu bewahren. Diese Chance hängt nämlich von der Existenz der Burg, also des Nationalstaates ab, weil er die höchste Ebene darstellt, auf der demokratische Kontrolle noch möglich ist. 

Hat es aber überhaupt noch Sinn, den unbedingt notwendigen Machtwechsel auf dem klassischen Wege demokratischer Wahlen herbeiführen zu wollen? 

Solange nur die rechte Opposition durch eine Partei repräsentiert wird, nicht aber die linke, wird man die Frage realistischerweise verneinen müssen. Solange die tiefsitzende Unzufriedenheit vieler Wähler, wahrscheinlich sogar einer Mehrheit, nur ein rechtes Ventil findet, aber kein linkes, fühlen sich viele an sich linke, aber unzufriedene Wähler gezwungen, am Wahltag entweder zu Hause zu bleiben oder – mit der Faust in der Tasche immer noch und trotz allem – die Linkspartei oder die SPD zu wählen. Das Wählerpotenzial der AfD dürfte – gleichbleibende Umstände immer vorausgesetzt – bei rund dreißig Prozent ausgeschöpft sein. Eine Machtperspektive hätte sie, wenn überhaupt, lediglich in Koalition mit einer Kartellpartei, nach Lage der Dinge also der CDU/CSU. Dagegen, dass eine solche Konstellation den Weg unseres Landes in den Abgrund auch nur bremsen kann, spricht bereits die Überlegung, dass die AfD in einer solchen Regierung nur der Juniorpartner mit schwacher Verhandlungsposition wäre, solange die Union mit jeder anderen Kartellpartei koalieren kann, die AfD aber nur mit der Union. Die CDU aber tut nicht einmal so, als wolle sie einem der Kernanliegen der AfD entgegenkommen – und wenn sie es täte, müsste man sich der Erfahrungen entsinnen, die die FPÖ mit der ÖVP gemacht hat, und an die alte Weisheit denken: «Wer mit dem Teufel speist, braucht einen langen Löffel.»

Anders lägen die Dinge, wenn sich auch die linke Opposition als Partei konstituieren würde. Umfragen verheißen einer solchen – zur Zeit der Abfassung des Buches noch hypothetischen – «Wagenknecht-Partei» bis zu dreißig Prozent der Stimmen. Und wenn auch ein erheblicher Teil dieser Stimmen von bisherigen AfD-Wählern kommen dürfte – eine gemeinsame absolute Mehrheit also kaum von heute auf morgen zustande käme –, so wäre eine doch eine deutliche Stärkung der parteipolitisch organisierten Opposition insgesamt schon rein quantitativ zu erwarten, erst recht qualitativ:

Selbst wenn sie nicht zusammenarbeiten würden (es aber könnten), würde die Verhandlungsposition jeder der beiden Parteien gegenüber eventuellen Koalitionspartnern aus dem Kartell gestärkt, und zwar schon, bevor sie zusammen eine rechnerische absolute Mehrheit hätten. Freilich setzt auch diese Art indirekter und passiver wechselseitiger Schützenhilfe voraus, dass die linke Opposition aufhört, jene Lieder des Kartells mitzusingen, in denen der rechten Opposition die Legitimität abgesprochen wird. Fährt sie damit fort, so verwirkt sie ihr Drohpotenzial.

Ein Ruf ans andere Ufer

Ich spreche die linke Opposition um Wagenknecht jetzt mal direkt an: 

■ Seid ihr, als es um NATO-Doppelbeschluss ging, auch nur einen Zentimeter von eurem Kurs abgewichen, nur weil die CDU euch als «fünfte Kolonne Moskaus» diffamierte? Tut ihr es heute, wo eure nominellen Genossen ebenfalls in dieses Horn stoßen? Ich wüsste nicht, und das spricht für euch! 

■ Warum also knickt ihr, wenn es um euer Verhältnis zur rechten Opposition geht, vor den Verdächtigungen paranoider Hexenjäger ein, die ihr Spielchen mit der «Kontaktschuld» ohne eure Unterwürfigkeit gar nicht treiben könnten? 

■ Findet ihr es wirklich so viel schlimmer, mit deutschen Patrioten in einen Topf geworfen zu werden als mit Kriegsverbrechern und Handlangern des US-Imperialismus? 

■ Lohnt es sich für euch wenigstens, euch zur Abwendung solcher Verdächtigungen durch demonstrativen Konformismus auf Kosten einer verfolgten Rechtsopposition bei einem Kartell anzubiedern, dessen Politik nur als kriminell zu qualifizieren ist? 

■ Habt ihr davon etwas? Bringt es euch irgendeinem eurer Ziele näher? Diese Fragen stellen heißt sie beantworten. Dass sie aber überhaupt gestellt werden müssen, zeigt, wie dicht das Gestrüpp aus Vorurteilen ist, das auf der oppositionellen Linken immer noch wuchert.

Bevor die Politiker unter dem Trommelfeuer der Kartellpresse irgendwelche Bündnisse schließen können, sind daher die Intellektuellen und die Basis gefordert: Angesichts des weitreichenden Konsenses zwischen der linken und der rechten Opposition bei der Beurteilung der Kartellpolitik wird man Felder abstecken können, auf denen man praktisch zusammenarbeiten kann. Und dort, wo ein solcher Konsens nicht erzielbar ist, sollte unter zivilisierten Demokraten ein angelsächsisches agree to disagree möglich sein. Foren für solche Debatten gibt es genug, nur muss man diese Debatten auch führen und den Konsens erzielen wollen!

Friedensliebe und Antimilitarismus sind im deutschen Volk so tief verwurzelt und gerade für die politische Linke so identitätsstiftend, dass man über die Frechheit staunen muss, mit der sich die nominell linken Parteien davon abgewandt haben. Für den, der dieser Disposition eine Stimme gibt, liegt die Macht fast schon in Reichweite, und bei Fortgang der kriegstreiberischen Außenpolitik wird sie am Ende sogar auf der Straße liegen, vor allem, wenn die ganze Tragweite ihrer Konsequenzen spürbar wird!

Dass Rechte und Linke hier einer Meinung sind, ist alles andere als eine Schwächung, ganz im Gegenteil: Erst dieser Faktor verwickelt das Kartell in einen innenpolitischen Zweifrontenkampf, den es auf die Dauer nicht gewinnen kann – immer vorausgesetzt, dass diese Chance von Rechten und Linken ergriffen wird! 

Inhalt

Einleitung

»Radikalisierung« – eine optische (Selbst-) Täuschung

Die Spaltung der Linken

Was ist links?

Linke und Rechte

Solidarität – Grundlage
menschlicher Gesellschaft

Das Dilemma der Rechten

Warum die rechte Opposition nicht mehr staatstragend sein kann

Erneuerung der Demokratie?

Demokratie und Nationalstaat

Zwischenfazit: kleine politische
Topographie der BRD

Perspektiven der Querfront

Szenarien

Ein Minimalkonsens

Strukturen

Fazit: Auf dem Weg zur dritten Republik

Über den Autor